»Unsere Kunden fit für die Zukunft mit Wasserstoff machen.«
Auf die Anforderungen der angestrebten Energiewende reagierte Mannesmann Line Pipe mit H2ready® Produkten. Was Kunden aktuell erwarten und warum sich das Unternehmen bereits heute mit Ammoniak-Anwendungen beschäftigt, besprachen wir in Siegen mit Manuel Simm und Dr. Holger Brauer.
Eine CO₂-neutrale Wasserstoffwirtschaft scheint in greifbare Nähe zu rücken. Welche Schlüsse zieht Mannesmann Line Pipe für sich und seine Kunden daraus?
Dr. Holger Brauer: In unseren Fachabteilungen und gemeinsam mit der Salzgitter Mannesmann Forschung beschäftigen wir uns seit nunmehr zehn Jahren mit Produktentwicklungen rund um das Thema Wasserstoff. Darüber hinaus haben wir in enger Zusammenarbeit mit Kunden die Entwicklung, z. B. von Anforderungen, kontinuierlich verfolgt, umgesetzt und sinnvoll ergänzt. Daraus resultiert die stetige Weiterentwicklung unserer Mannesmann H2ready® Rohre, die dem aktuellen Stand der Technik entsprechen und vielfach die aktuellen Anforderungen sogar übertreffen.
Gibt es bereits konkrete Kundenanfragen und H2-Projekte?
Manuel Simm: Wir haben mittlerweile rund 20 Aufträge aller Abmessungen und Güten im Haus. Das Gros kommt aus Deutschland, wir haben allerdings auch bereits nach Österreich und in die Niederlande geliefert. Dabei handelt es sich weitestgehend um Projektbedarfe, der Trend geht aktuell aber aus unserer Sicht in Richtung einer generellen H2-Konformität.
Was treibt die Kunden von Mannesmann Line Pipe an und was können sie erwarten?
M. Simm: Die Marktdynamik im Bereich Wasserstoff ist auf Kundenseite da, der politische Rahmen wurde geschaffen. Die Umsetzung ist bereits in vollem Gange. Es gibt inzwischen aber zahlreiche strategische und technologische Ansätze, was das Thema Wasserstoff und grünen Wasserstoff angeht. Das führt – neben aller Aufbruchstimmung – aber auch zu einer gewissen Verunsicherung, wo die Reise mittel- und langfristig hingehen wird. Dr. Brauer: Durch unsere Vernetzung in zahlreichen Forschungsprojekten, Arbeitskreisen und technischen Gremien bündeln wir unser Know-how und stellen es unseren Kunden zur Verfügung. Durch unsere Erfahrung und Expertise mit Produkten, die teilweise über die geforderten Kriterien hinausgehen, wollen wir unsere Kunden fit für die Zukunft mit Wasserstoff machen.
»Lippenbekenntnisse, insbesondere die politischen, alleine reichen nicht aus. Technologieoffenheit darf nicht nur auf dem Papier stattfinden.«Manuel Simm
Herr Simm, Sie waren 2020 auf der Int‘l Hydrogen & Fuel Cell Expo in Japan. Welche Eindrücke haben Sie von dort mitgebracht?
M. Simm: Die Gespräche mit Ausstellern und Besuchern haben uns gezeigt, dass die Weltmärkte sehr differenziert und nicht pauschal zu betrachten sind. Japan legt einen anderen Fokus auf die Energiewende mit Wasserstoff als z. B. Australien oder Chile. Insofern hat unser Blick über den Tellerrand diesen weiter geschärft und wir können zielgerichtet mit den richtigen Maßnahmen an den richtigen Orten agieren. Das hilft uns im Übrigen auch bei weltweiten Ausschreibungen, die uns z. B. aus Kanada, den USA, Slovenien oder China erreichen.
Lange Zeit hieß es, für die Energiewende benötigen wir grünen Wasserstoff – warum kommt nun grünes Ammoniak hinzu?
Dr. Brauer: Wasserstoff als Hauptenergieträger ist für eine weitestgehend CO₂-freie Wirtschaft unumgänglich. Der Vorteil bei der Verwendung von Ammoniak, also NH₃, besteht in der Lagerung und dem Transport. In Gasform ist es bedeutend einfacher zu lagern und der Energiegehalt ist etwa doppelt so hoch wie bei reinem Wasserstoffdruckgas. Die Verflüssigung geschieht bereits bei –33 °C und der Druck bei der flüssigen Durchleitung liegt lediglich bei etwa 9 bar.
Verfügt Mannesmann Line Pipe auch im Bereich Ammoniak schon über marktreife Produkte?
Dr. Brauer: Gemeinsam mit der Salzgitter Mannesmann Forschung haben wir bereits eine Studie zu den bisherigen Anforderungen aus den Regelwerken und der Fachliteratur durchgeführt. Im Ergebnis sind die erprobten Rohre heute schon NH₃ready©, also für Ammoniakanwendungen geeignet. M. Simm: Wir haben in der Vergangenheit im Übrigen bereits Rohre für den Transport von Ammoniak geliefert, unter anderem 2008 nach Armenien. Jetzt geht es aber darum, neue Anforderungen auzuloten und diese gemeinsam mit Anwendern und Kunden zu marktreifen Produkten weiterzuentwickeln.
Die grünen Gase werden also mittelfristig kommen. Wo sehen Sie kurzfristige CO₂-Einsparmöglichkeiten?
M. Simm: Wir profitieren hier von unseren Vormateriallieferanten. Diese haben bereits erste ›grüne Brammen‹ hergestellt, die wir als Coils weiterverarbeitet und zu Rohren verschweißt haben. Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend und es ist sicher mit Skaleneffekten, was die Preisgestaltung angeht, zu rechnen. Dr. Brauer: Wir wollen aber nicht nur auf ›grünen Stahl‹ setzen. Da, wo es möglich und sinnvoll ist, versuchen wir bereits heute unsere Kunden vom Einsatz höherfester Güten über X52/L360 hinaus zu überzeugen. Die daraus resultierenden geringeren Wanddicken schonen Ressourcen und verringern den Energieeinsatz bei der Herstellung, der Weiterverarbeitung und dem Transport. Unsere höherfesten Güten erlauben auch einen höheren Betriebsdruck in Pipelines, was die Durchleitung wiederum effizienter macht.
Herr Simm, Sie gehören zu den Jüngeren in der Branche. Wie sehen Sie persönlich die Energiewende und die Zukunft mit Wasserstoff?
M. Simm: Wasserstoff ist das Medium, das zu einer massiven Reduzierung der Treibhausgase beitragen kann und wird. Jedoch reichen Lippenbekenntnisse, insbesondere die politischen, alleine nicht aus. Technologieoffenheit darf nicht nur auf dem Papier stattfinden. In Deutschland steigen wir gerade aus der Kernenergie aus. Bis 2030 wollen wir aus der Kohleverstromung raus und 2045 wollen wir klimaneutral sein. Die Zeiträume sind da gar nicht mehr lang. Als Mitarbeitende bei Mannesmann Line Pipe können wir sicher Stolz darauf sein, einen Teil zum Gelingen der Energiewende beitragen zu dürfen.
»Für die Zukunft sehe ich eine CO₂-neutrale Erzeugungs- und Lieferkette: von der Stahlherstellung über die Rohrschweißung bis hin zur Auslieferung.«Dr. Holger Brauer
Herr Dr. Brauer, ein Blick in die Zukunft der grünen Gase – was sehen Sie?
Dr. Brauer: Das HFI-Verfahren zur Herstellung unserer Produkte basiert auf dem Einsatz von Strom, der sich perspektivisch regenerativ erzeugen lässt. Die Dekarbonisierung der Stahlerzeugung schreitet ebenfalls voran. Für die Zukunft sehe ich eine CO₂-neutrale Erzeugungs- und Lieferkette: von der Stahlherstellung über die Rohrschweißung bis hin zur Auslieferung. Grüner Wasserstoff und grünes Ammoniak werden dabei ganz sicher eine tragende Rolle spielen.